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Sascha Lobo

EU-Urheberrecht Lasst uns nicht auf diese Fake-Reform hereinfallen!

Stellt die EU-Urheberrechtsreform Kreativschaffende besser? Viele glauben das - doch das Gegenteil ist wahr: Profitieren werden die großen Konzerne. Zeit, dagegen aufzustehen!
Demonstration gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform in Bremen

Demonstration gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform in Bremen

Foto: Carmen Jaspersen/ dpa

Kreative, wir haben ein Problem und es besteht Handlungsbedarf: In der kommenden Woche stimmt das EU-Parlament über die Urheberrechtsreform ab, und dieses Gesetzeswerk muss abgelehnt werden. Das ist nach wie vor möglich, die Abgeordneten des Europaparlaments sind für eure Signale empfänglich. Schließlich ist demnächst Europawahl und ihr habt gesellschaftlichen Einfluss. Oder besser: Wir haben Einfluss, denn auch ich bin Urheber.

Weil solche Wir-Umarmungen begründet werden müssen, damit sie nicht nach Vereinnahmung klingen, hier meine Selbstverortung: Ich schreibe Bücher, verfasse Artikel, drehe Filme, halte Vorträge, fotografiere Tiere und ich caste pod. Gesang ist nicht so meins, aber das ist eher eine Frage des Menschenrechts als des Urheberrechts, Stichwort Folterverbot.

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Mit allen genannten kreativen Beschäftigungen verdiene ich Geld. Als Selbstständiger lebe ich zu weit über 90 Prozent von urheberrechtlich relevanten Aktivitäten. Deshalb ist die Frage berechtigt, warum ich gegen diese Urheberrechtsreform bin.

Die Reform schadet uns Kreativen

Die Antwort ist einfach: Sie schadet uns Kreativen. Diese Urheberrechtsreform ist eine Reform von Verwertern für Verwerter. Wir werden mit Brosamen, falschen Versprechungen und einer Familienpackung Unverschämtheiten abgespeist und hängen in der Folge noch stärker von der Gnade der Verwerter ab.

Versteht mich nicht falsch, ich liebe meinen Buchverlag, ebenso wie SPIEGEL ONLINE, natürlich. Das wird vielen von euch ähnlich gehen. Aber ich möchte und muss Liebe und Geschäftsgrundlage trennen, so wie Redaktion und Geschäftsführung getrennt sind. Und ihr wisst, dass das zwingend notwendig ist. Für alle Seiten übrigens. In Verwertungskonzernen wird die gegenseitige Liebe um so funktionaler, je näher man an die Excel-Leute kommt.

Die meisten Kreativen interessieren sich zu wenig für Zahlen, Verträge, Gesetze. Dieses Nichtwissen macht uns empfänglich für die süßen Versprechungen der Verwerter.

Macht es euch nicht misstrauisch, dass sich Verwerterlobbys derzeit anhören, als seien sie Gewerkschaften für uns Kreative? Sollte es aber. Denn der wahre Hintergrund der Urheberrechtsreform ist ein Kampf zwischen zwei unterschiedlichen Formen von Verwertungskonzernen. Beide haben ihre Vor- und Nachteile und beiden geht es auf Konzernebene im Zweifel eher um die Bilanz als um uns. Bei aller Liebe.

Das Ziel dieser Urheberrechtsreform ist, große Plattformen zur Globallizenzierung zu zwingen. Das ganze Getöse um Uploadfilter ist nur ein schlechtes Mittel, um Google dazu zu bewegen, Pauschalverträge mit Content-Konzernen abzuschließen. Das ist bei den schlimmen Artikeln 11 und 13 ähnlich, einmal eher für Textwerke und einmal eher für Musik und Film.

Weniger abhängig als früher

Genau hier ist die Sollbruchstelle, denn wir, die Kreativen, sind im digitalen 21. Jahrhundert nicht mehr in jeder Dimension abhängig von der klassischen Kreativ- und Medienbranche. Neue Berufe, Formen und Bereiche der Kreativität sind entstanden, und die Menschen, die dafür stehen, refinanzieren sich auf andere Weise als klassische Kreative. Aber sie gehören zu uns, längst sind Überschneidungen ja auch die Regel.

Die Leute mit YouTube-Kanälen, die Selfpublisher, die Bloggerinnen mit Google-Ads und Amazon-Affiliates, die Musikschaffenden auf Beatport oder Spotify, die Fotografinnen auf Flickr oder Instagram: Sie alle und viele mehr sind urhebende Kreative.

Die Verwerter neuen Typs, die Plattformen, sind nicht "die Guten". Daher dürfen wir keine Gelegenheit auslassen, sie zu regulieren, wie ich oft gesagt habe. Das muss bloß sinnvoll und für uns und nicht gegen uns geschehen.

Das Plattformprinzip der neuen Verwerter  demokratisiert die Möglichkeit, mit urheberischen Leistungen Geld zu verdienen. Das bedeutet einen Machtverlust für die klassische Kreativbranche. Die Urheberrechtsreform soll uns Kreative in die Arme derjenigen zwingen, die überhaupt in der Lage sind, Pauschallizenzen zu verhandeln. Unabhängige Künstler aller Art schaffen das nie, und sie ziehen bei der ersten Auseinandersetzung mit einer großen Plattform noch immer den Kürzeren.

Die alte Verwerterindustrie unterstützt ein Gesetzeswerk, das die Refinanzierung der Kreativität zur Industriesache macht. Das ist ein Gesetz des Kapitalismus: Große Konzerne profitieren von großen Strukturen, die nur sie selbst fachgerecht bedienen können. Die Verwerterreform soll in erster Linie klassische Verwerter alternativlos machen. Warum wohl lehnen die Freischreiber, der Berufsverband freier Journalisten, die Urheberrechtsreform ab ?

Es geht den Verwertern um sich selbst

Weil die Reform uns Kreative in die Abhängigkeit großer Verwerterstrukturen zwingt, wo man tönt "Die Arbeit der Urheber wertschätzen", aber die eigenen Verwertungsrechte meint.

Der Verhandlungsführer der Urheberrechtsreform im EU-Parlament, Axel Voss (CDU), beruft sich unablässig auf Kreative. Auch er meint nicht uns, sondern die Großen der Kreativindustrie. Nichts Neues bei der Union, die häufiger versuchte, die Künstlersozialkasse (KSK) zu beschädigen, die wirklich essenziell ist für kleine Kreative.

2009 etwa hat die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union gefordert, die Beitragspflicht für Auftraggeber zu streichen , faktisch eine Abschaffung des Prinzips KSK. Und hier ist ein Zitat des Berufsverbands Bildender Künstler*innen von 2013 : "CDU/CSU und FDP [haben] kurz vor der Sommerpause die weitere Existenz der KSK bewusst aufs Spiel gesetzt." Und jetzt soll ebendiese Union begeistert für die armen Künstler kämpfen - wie wahrscheinlich ist das?

Vertrauen ist hier unangebracht, denn das Gebaren der Verwerterlobbys und ihrer politischen Fürsprecher  pendelt zwischen Unwissen, Desinteresse, Lügen, Unterstellungen und Diffamierungen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat eine empörte offizielle Mitteilung veröffentlicht , denn die Verwerterlobby, Zitat: "wählt den Weg fachlich falscher Behauptungen und weicht vom eigentlichen Thema ab. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit meiner Kritik an Uploadfiltern ist nicht zu erkennen".

Kelber moniert auch persönliche Angriffe. Die kenne ich. Ein Aufsichtsrat der Gema erklärte öffentlich , ich sei "ein verdammter Lügner" und entweder "dumm" oder "gekauft".

Bedenken werden nicht ernst genommen

Muss die Gema wissen, mit wem sie sich schmückt. Inhaltliche Diskussion gehört jedenfalls nicht zu den Stärken der Befürworter dieser Reform. Ich habe mit Helga Trüpel von den Grünen gesprochen, die die Reform so super findet, dass sie gegen die eigene Parteilinie entscheidet. Man kann das Gespräch nachhören .

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Um Stephen Colbert zu zitieren: Für mich hat es sich angefühlt, als würde ich mit einem Gletscher boxen. Die Gesamtzahl meiner als Urheber geäußerten Bedenken, die sie erkennbar ernst nahm, betrug null.

Inzwischen hat die Union - aus Angst vor der Wut einer ganzen Generation - einen angeblichen Kompromiss vorgelegt . Der gehört zum Bizarrsten, was ich seit langer Zeit gesehen habe. Dennis Horn, Netzexperte des WDR, schreibt dazu "Schrödingers Uploadfilter" .

Denn man möchte die EU-Gesetzgebung unverändert beschließen und dann bei der Umsetzung in Deutschland alles ganz anders machen, um die eben beschlossenen Uploadfilter zu verhindern. Das hört sich für mich an wie: Okay, wir schießen uns erst mal in den Fuß, aber wir machen das in der Nähe eines Krankenhauses, das ist doch ein toller Kompromiss.

Recht wertlose Versprechen

Nicht wirklich. Vor allem, weil es vage, rechtlich nicht bindende Versprechen sind, die gegen Gesetzeswerk aufgewogen werden. Solche Versprechen sind erfahrungsgemäß nur etwas weniger wert als nichts, wenn das Gesetz erst da ist. Dann geht das leider doch nicht, irgendwie, rechtliche Gründe, sorry. Wir Kreativen kennen diesen Sound: Hey, arbeite doch erst mal los, mit der Kohle einigen wir uns später.

Ein famoser Begleitwitz, der wie eine Wasserscheide beweist, dass es um Verwerterinteressen geht und nicht um die der Kreativen: Anfangs war ein Verbot des sogenannten "Total Buy Out" geplant. Vom Tisch, wollten die Verwerter nicht .

Lasst uns Kreative nicht auf diese Fake-Reform hereinfallen!

An diesem Samstag, dem 23. März, ist ein großer europaweiter Aktions- und Demonstrationstag dagegen . Beteiligt euch daran und kontaktiert eure Abgeordneten. Wir brauchen dringend eine Urheberrechtsreform, aber nicht diese, die uns Wahlmöglichkeiten, Freiheiten und digitale Chancen nimmt.

Und wenn sie durchkommt, wird für lange Zeit nichts mehr geändert werden. Dann werden sich Digitalkonzerne und Großverwerter einigen - auf unsere Kosten.


Die Podcast-Frage ist diesmal konstruktiv:
Wie könnte eine sinnvolle Urheberrechtsreform aussehen?

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

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